3. IVF – WTF?

Noch vor einem halben Jahr war künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation (IVF) ein Thema, von dem wir nie geglaubt hätten, dass wir uns damit auseinandersetzen müssten. Wir waren frisch verheiratet, ich 33 und mein Mann 34 Jahre jung und wir hatten gerade beschlossen, dass wir nun endlich loslegen wollen mit dem Kinderkriegen.

Doch dann wurde in meiner Familie und schließlich auch bei mir ein Gendefekt festgestellt: HNPCC, auch Lynch-Syndrom genannt (siehe Blogpost „1. HNPCC what? – Wenn Krebs plötzlich mehr als unwahrscheinlich ist“).

Wie in diesem Blogpost beschrieben, besteht bei mir ein stark erhöhtes Risiko für Darmkrebs und andere Krebsarten. Ich selbst muss mich mit dieser Situation abfinden, die jährliche Flut von Vorsorgeuntersuchungen über mich ergehen lassen und hoffen, dass kein Krebs bei mir auftreten wird.

Aber was ist mit unseren ungezeugten Kindern? Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das Lynch-Syndrom an sie weitervererben würde, liegt bei 50%. Gibt es nicht eine Möglichkeit, wie wir vermeiden können, dass sie diesen Gendefekt bekommen?

Eine Bekannte meinte dazu, sie würde dann einfach gar keine Kinder kriegen. Das war für uns allerdings keine befriedigende Option.

In einem Gespräch mit einem Arzt für Humangenetik stellte sich heraus, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt: In-Vitro Fertilisation (IVF). Ich hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was genau damit gemeint war. Aber im ersten Moment habe ich mich einfach nur gefreut, dass es eine Option gibt. Moderner Wissenschaft sei Dank!

Damit boten sich uns also kurz zusammengefasst folgende drei Möglichkeiten das Thema Kinderkriegen anzugehen:

  1. Auf natürlichem Wege schwanger werden. Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung liegt bei 50%. Unsere Kinder können sich dann ab dem 18. Lebensjahr auf das Vorliegen des Gendefekts testen lassen.
  2. Künstliche Befruchtung (IVF), wobei mir Eizellen entnommen, im Labor befruchtet und untersucht werden und mir dann nur die wieder eingesetzt werden, die den Gendefekt nicht aufweisen.
  3. Überhaupt keine eigenen Kinder bekommen.

Alleine über diese Thematik könnte man eine lange, ethische Abhandlung verfassen und unendliche Diskussionen führen. Ich glaube, dass das wirklich eine ganz persönliche Entscheidung sein sollte, bei der es kein richtig oder falsch gibt. Jeder, der in so einer Situation ist, kann das für sich selbst entscheiden und sollte deshalb auch nicht verurteilt werden.

Mein Mann und ich haben viel darüber nachgedacht, recherchiert, mit Familie und Freunden und auch mit Ärzten gesprochen. Und relativ schnell war uns dann klar, dass wir den Weg der künstlichen Befruchtung nehmen würden.

Uns war auch klar, dass das nicht gerade der einfachste Weg war. Little did we know…

Wir haben also erst einmal einen Termin in einem Kinderwunschzentrum gemacht, um uns über das genaue Vorgehen zu informieren.
Leider hatte der Arzt dort keine wirkliche Ahnung von genetischen Untersuchungen, konnte uns aber zumindest den generellen Ablauf einer IVF gut erklären. Vereinfacht dargestellt ist der Prozess wie folgt:

  1. Stimulation der Eierstöcke mit einer Hormonbehandlung für ca. 8-12 Tage. Ziel ist es statt nur einer Eizelle, wie im normalen Zyklus, mehrere Eizellen heranreifen zu lassen.
  2. Entnahme der Eizellen
  3. Zusammenführung von Eizellen und Sperma in einzelnen Petrischalen
  4. Entwicklung der befruchteten Eizellen hin zu einem Embryo über einen Zeitraum von bis zu 5 Tagen
  5. Transfer von einem oder mehreren Embryos zurück in die Gebärmutter
  6. Schwangerschaftstest nach ca. 10 Tagen – Wenn der positiv ist, heißt es hoffen, wie bei jeder anderen Schwangerschaft auch. Wenn er negativ ist, geht der Prozess wieder von vorne los, wenn man es denn noch mal probieren möchte.

Worauf der Arzt uns keine Antwort geben konnte, war die Frage, ob die genetischen Tests für Lynch-Syndrom an der unbefruchteten oder befruchteten Eizelle durchgeführt werden müssen. Ein kleiner, jedoch entscheidender Unterschied, wie wir durch eigene Recherchen gelernt hatten. Ersteres kann in Deutschland relativ problemlos durchgeführt werden. Zweiteres ist nur in ganz, ganz wenigen Ausnahmefällen zugelassen, da eine befruchtete Eizelle, auch wenn diese aus nicht einmal 100 winzigen Zellen besteht, unter das Embryonenschutzgesetz fällt.

Man nennt diese genetische Untersuchung von befruchteten Eizellen im Rahmen einer IVF Präimplantationsdiagnostik (PID) oder auf Englisch Preimplantation genetic diagnosis (PGD). PID darf in Deutschland nur in speziell dafür zugelassenen Zentren durchgeführt werden.
Außerdem darf die PID laut Embryonenschutzgesetz nur zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos gemacht werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird. Die Einhaltung dieser Voraussetzung wird von einer Ethikkommission geprüft und muss durch diese genehmigt werden.

Um endlich Klarheit für unseren Fall zu bekommen, haben wir uns direkt an ein Kinderwunschzentrum gewendet, dem die Genehmigung zur PID vorliegt.

Dieser Termin war dann ziemlich desillusionierend. Uns wurde gesagt, das die Lynch-Syndrom Genmutation nur an der befruchteten Eizelle getestet werden kann und somit unter die oben genannten Restriktionen des Embryonenschutzgesetzes fällt. Da bei Lynch-Syndrom keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Tot- oder Fehlgeburt besteht, würde die Ethikkommission die PID in unserem Fall also nicht genehmigen.

Wir konnten es erst einmal nicht fassen. Da gäbe es rein technisch die Möglichkeit, unseren Kindern das Lynch-Syndrom zu ersparen. Doch eine Ethikkommission zusammengesetzt aus Menschen, die uns überhaupt nicht kennen, kann entscheiden, dass uns diese Möglichkeit nicht zugänglich ist.

Dem Arzt war anzumerken, dass er das ebenfalls nicht unbedingt für richtig hielt. Er erklärte uns, dass die Gesetzeslage dazu in Deutschland veraltet und viel, viel strenger als in anderen europäischen Ländern sei. Auch wenn er offiziell keine Empfehlung abgeben darf, erwähnte er, dass sich viele Menschen in ähnlichen Situation an IVF Ärzte im Ausland wenden würden. Besonders die Kliniken in Tschechien seien zu empfehlen, auf Grund der Erfahrung dort, aber auch wegen der Nähe zu Deutschland und der etwas günstigeren Kosten.

Und plötzlich hatte unser Babyprojekt eine ganz andere Dimension.

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