Von meiner Humangenetikerin wurde ich bereits darüber aufgeklärt, welches Risiko bei Lynch-Syndrom für welche Krebsarten besteht. Trotzdem habe ich zusammen mit meiner Mutter und meiner Tante, die auch mit Lynch-Syndrom diagnostiziert wurden, noch einen Termin in der HNPCC-Sprechstunde an der Uniklinik Heidelberg gemacht.
Die Uniklinik Heidelberg ist eines von sechs Darmkrebszentren in Deutschland, das von der Deutschen Krebshilfe, im Rahmen des Verbundprojektes „Familiärer Darmkrebs“, gefördert wird. Dabei arbeiten Humangenetiker, Internisten, Chirurgen und Pathologen eng zusammen, mit dem Ziel Standards für eine optimale Betreuung von Patienten mit HNPCC und deren Familien zu erarbeiten.
Natürlich hatten wir bereits vorher im Internet selbst viel zum Thema Lynch-Syndrom recherchiert. Allerdings wollten wir noch einmal eine ganzheitliche Beratung zu den notwendigen Vorsorgemaßnahmen von Ärzten, die sich speziell mit HNPCC beschäftigen und die neuesten Erkenntnisse dazu haben.
Das Gespräch in Heidelberg war dann auch sehr hilfreich. Frau Dr. Tariverdian hat sich viel Zeit für uns genommen. Vieles von dem Wissen, das wir uns bereits angeeignet hatten, wurde bestätigt und es waren auch einige neue Informationen dabei. Am Ende hatten wir das Gefühl, jetzt gut Bescheid zu wissen, wie wir mit HNPCC umgehen und welche Vorsorgeuntersuchungen wir von nun an regelmäßig machen müssen.
Und das sind leider eine ganze Menge. Für HNPCC-Patienten werden folgende Check-ups jährlich empfohlen:
Ab dem 25. Lebensjahr:
– Darmspiegelung (Dickdarm, aber auch Dünndarm so weit möglich)
– Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes (Leber, Gallenblase, Gallenwege, Bauspeicheldrüse, ableitenden Harnwege, Blase, Niere)
– für Frauen: gynäkologische Untersuchung mit vaginalem Ultraschall (Gebärmutter und Eierstöcke)
– körperliche Untersuchung
Ab dem 35. Lebensjahr:
– Magenspiegelung
– für Frauen: Endometriumbiopsie (Entnahme von Gewebeproben aus der Gebärmutterschleimhaut)
Da besonders weisser Hautkrebs auch vermehrt bei Menschen mit HNPCC auftritt, empfiehlt sich ein jährliches Hautkrebs-Screening.
Als Krebsvorsorge für Gehirn bzw. Zentrales Nervensystem gibt es keine wirklich einfache Methode. Man könnte natürlich regelmäßig eine Computertomographie (CT) des Gehirns machen lassen. Aber ob die dabei notwendigen Röntgenstrahlen nicht vielleicht mehr Schaden als Nutzen anrichten ist unklar. Eine Kernspintomographie (MRT) wäre noch eine Option. Von den Ärzten wird keine direkte Vorsorge empfohlen. Ich bin persönlich noch zu keinem Entschluss gekommen, wie ich damit umgehen will. Ich könnte mir vorstellen, dass ich evtl. tatsächlich alle drei Jahre ein MRT zur Kontrolle machen lassen werde.
Puh, da kommt dann doch so einiges zusammen. Also habe ich mich an den Computer gesetzt und probiert die besten Ärzte für all diese Vorsorgemaßnahmen in meiner Nähe ausfindig zu machen und zeitnah Termine zu vereinbaren. Ich habe diverse Ärzte abtelefoniert, Termine vereinbart und wieder verschoben. Bis dann der ganze Terminplan stand, war das schon eine ganze Menge Arbeit. Und dabei hatte ich noch keine einzige Untersuchung gehabt.
So, aber nun einmal zu den Untersuchungen selbst. Um alle empfohlenen Untersuchungen durchführen zu lassen, muss man im Prinzip zu insgesamt vier verschiedenen Ärzten:
- Gastroenterologe: Magen- und Darmspiegelung, Ultraschalluntersuchung des Bauchraumes
- Gynäkologe: gynäkologische Untersuchung mit vaginalem Ultraschall
- Klinik für Gynäkologie: Endometriumbiopsie
- Hautarzt: Hautkrebs-Screening
Der Termin beim Gastroenterologen stand zuerst an. Die Aussicht einen Schlauch mit Kamera sowohl von oben als auch von unten in meinen Verdauungstrakt gesteckt zu bekommen war nicht gerade verlockend. Nur um das noch mal deutlich zu sagen: Wir reden hier davon, dass mir jemand eine Kamera zum Einen durch den Mund in meinen Magen, zum Anderen durch meinen Hintern in den Darm schieben wird. Durch meinen HINTERN!! Bäh!
Dementsprechend nervös war ich vor meinem ersten Termin, der der Vorbesprechung zur Magen- und Darmspiegelung dienen sollte. Doch schon nach wenigen Minuten war klar: die Ärztin, die ich mir ausgesucht hatte, ist der Hammer! Eine sehr nette, lustige, kompetente Frau, zu der ich instinktiv Vertrauen fasste und bei der das alles plötzlich gar nicht mehr so schlimm klang.
Zunächst einmal berichtete ich ihr von meiner familiären Vorgeschichte und der Diagnose Lynch-Syndrom. Das fand sie sehr spannend. Sie meinte, darüber werde zwar in Lehrbüchern und Fachzeitschriften geschrieben, sie würde das aber immer überblättern, weil ihr noch kein Fall untergekommen sei. Von nun an war ich also sozusagen ihr persönliches Forschungsobjekt für HNPCC. Das äußerte sich darin, dass sie sehr, sehr gründlich bei ihren Untersuchung vorging und sich mit mir freute, wenn die Befunde unauffällig waren.
Bei meinem ersten Ultraschall mit ihr gab es jedoch einen großen Schreck: Nachdem Leber, Galle, Niere etc. unauffällig waren, entdeckte die Ärztin weiter unten in meinem Bauch eine ca. 5cm große Struktur, die da nicht hingehörte. Sie war plötzlich ganz besorgt und wurde ganz ernst. Da die Struktur mit Flüssigkeit gefüllt zu sein schien, meinte sie, dass ich mir erst mal noch keine großen Sorgen machen müsse. Sie war sich aber nicht 100%ig sicher, was das sein könnte, da das im gynäkologischen Bereich liegt und sie keine Expertin auf dem Gebiet ist. Sie empfahl mir, schnellstmöglich ein MRT zu machen und mich von einem Gynäkologen untersuchen zu lassen.
War ich während sie mir das alles sagte noch recht gefasst, brach ich erst einmal in Tränen aus, als ich aus der Praxis ging. Ich habe sofort meinen Mann angerufen, der mich glücklicherweise etwas beruhigen konnte. Auf den MRT Termin musste ich leider 5 Tage warten. Zu meiner Gynäkologin konnte ich bereits am nächsten Tag. Da stellte sich das ganze dann als eine eingeblutete Eierstock Zyste heraus, die man beobachten sollte, die ansonsten aber wahrscheinlich relativ harmlos ist. Alter Schwede war ich erleichtert!
Durch dieses Erlebnis wurde ich mir bewusster darüber, was es heißt, mit Lynch-Syndrom und der allgegenwärtigen Möglichkeit von Krebs zu leben. Aber es hat mir auch gezeigt, dass nicht jede Auffälligkeit fatal sein muss. Es wird wahrscheinlich immer mal wieder kleine und große Schrecken geben. Aber man darf deshalb nicht in ständiger Angst und Sorge leben. Vielmehr sollte man bewusster leben und sich an den schönen Dingen des Lebens erfreuen.
Doch kommen wir zurück zu meiner Magen- und Darmspiegelung. In dem Vorgespräch mit der Ärztin hatte ich gleich zwei positive Neuigkeiten erfahren: 1. Die Magen- und Darmspiegelung kann mit einem Termin erledigt werden und ich muss dafür nicht zwei Termine zu unterschiedlichen Zeiten machen. 2. Die Untersuchungen werden mit Sedierung gemacht. Das heißt, ich werde schlafen und es gar nicht mitbekommen, wenn mir Schläuche in diverse Körperöffnungen geschoben werden. Halleluja!
Zur Darmspiegelung gehört einiges an Vorbereitung, da der Darm möglichst sauber sein muss, damit der Arzt eine gute Sicht hat. Drei Tage vor dem Termin musste ich bereits auf meine Ernährung achten. Kernhaltige Nahrungsmittel (z.B. Trauben, Kiwi, Vollkornprodukte), Nahrungsmittel mit Schalen (z.B. Äpfel, Tomaten, Hülsenfrüchte) und Fasern (z.B. Salat, Spargel, Südfrüchte) waren tabu. Am Tag vor der Untersuchung wurde es dann ernst. Einzige erlaubte Nahrungsaufnahme war ein leichtes Frühstück. Danach durfte ich dann nur noch klare Getränke wie Wasser, hellen Tee, klaren Apfelsaft und klare Brühe zu mir nehmen. Um 14 Uhr musste ich dann ein Abführmittel nehmen. Das ist oft der Teil der Darmspiegelung, den viele als den unangenehmsten beschreiben. Das liegt daran, dass viele der Abführmittel einen schrecklichen, leicht salzigen Geschmack haben. Allerdings gibt es mittlerweile auch wohlschmeckendere Präparate und meine Ärztin war so nett mir eines von diesen zu verschreiben (PICOPREP®, sehr zu empfehlen!). Allen Abführmitteln gemein ist, dass man nach der Einnahme sehr viel Flüssigkeit (mind. 3 Liter) zu sich nehmen muss. Und man sollte sich für diesen Tag nichts mehr vornehmen, da man die meiste Zeit auf der Toilette zubringt.
Am Untersuchungstag selbst darf man dann nichts essen und bis maximal zwei Stunden vor dem Termin noch ein Glas Wasser trinken. Und dann geht es los. Nur mit einem schicken, hinten offenen OP-Hemdchen bekleidet, durfte ich dann in den OP spazieren und mich auf den OP Tisch in eine Seitenlage legen. Die gut gelaunten Schwestern haben mir dann unter anderem einen venösen Zugang in meinem linken Arm gelegt und mir das Mundstück erklärt, dass ich zwischen die Zähne nehmen musste, um auch während der Sedierung den Mund geöffnet zu halten. Dann kam die Ärztin und spritzte mir das Narkosemittel Propofol und innerhalb weniger Sekunden war ich dann auch schon eingeschlafen.
Von der Untersuchung an sich gibt es nicht viel zu berichten, da ich wie versprochen schön geschlummert und nichts mitbekommen habe. Gedauert haben die Magen- und Darmspiegelung zusammen wohl etwa eine halbe Stunde. Das Endoskop, das dabei benutzt wird, ist ein ziemliches Multi-Talent. Es hat nicht nur eine Kamera, sondern kann auch gleichzeitig Gewebeproben entnehmen und Polypen entfernen. Gewebeproben werden an unterschiedlichen Stellen genommen und anschließend im Labor untersucht.
Kurze Zeit später kam ich im Aufwachraum dann langsam wieder zu mir. Die Ärztin kam noch kurz herein, um zu sagen, dass alles gut verlaufen sei. Und nach einer Stunde konnte mich mein Mann dann wieder mit nach Hause nehmen.
Alles in allem war es eine überraschend angenehme Erfahrung. Zu behaupten, dass ich mich schon auf die nächste Magen- und Darmspiegelung in einem Jahr freue, ist wohl etwas übertrieben, aber zumindest habe ich keine Angst mehr davor.
Eine Woche später erhielt ich dann einen Anruf von der Ärztin. Der Befund der Gewebeproben war eingetroffen. Glücklicherweise wurden keine bösartigen Auffälligkeiten gefunden. Allerdings ergaben die Gewebeproben aus meinem Magen, dass bei mir eine leichte Gastritis vorliegt, ausgelöst durch Helicobacter. Helicobacter ist ein Bakterium, dass in den Mägen von ziemlich vielen Menschen lebt. Es muss nicht unbedingt behandelt werden. Da es aber Magengeschwüre verursachen kann, die sich dann auch zu Krebs entwickeln können, riet mir die Ärztin in meinem Fall zu Antibiotika, um den Helicobacter zu vertreiben.
Ihr seht also, dass man sich mit diesen Krebsvorsorgeuntersuchungen ganz gut beschäftigen kann. Die Endometriumbiopsie habe ich noch vor mir. Davon berichte ich euch dann ein andermal.
To be continued…