Dann erkrankte eine Cousine zweiten Grades im Alter von 31 an Darmkrebs. Das machte die Ärzte stutzig, da das Durchschnittsalter bei der Erstdiagnose von Darmkrebs normalerweise bei 65 Jahren liegt. Nach diversen Tests stand fest: meine Cousine litt an HNPCC, auch Lynch-Syndrom genannt.
HNPCC (Abkürzung aus dem englischen „Hereditary Non-Polyposis Colorectal Cancer“) ist ein vererbbares Krankheitsblild, das durch ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten von Krebserkrankungen gekennzeichnet ist.
Typisch ist das Auftreten von Darmkrebs in jungen Jahren. Doch es kann auch in anderen Geweben zur Tumorentstehung kommen. In das Tumorspektrum des Lynch-Syndroms gehören insbesondere Krebserkrankungen der Gebärmutter, Eierstöcke, Magen, ableitende Harnwege, Leber, Galle, Haut und Gehirn. Uff!

Die Erbkrankheit Lynch-Syndrom ist durch einen genetischen Defekt bedingt, den meine Cousine von einem Elternteil geerbt haben musste, das diesen wiederum auch von einem Elternteil geerbt hatte, usw. Also wurden zunächst Ihre Eltern auf den Gendefekt getestet. Dabei stellte sich heraus, dass ihre Mutter der Anlageträger ist und sie also diejenige war, die das Lynch-Syndrom weiter vererbt bekommen hatte. Da ihr bereits verstorbener Vater (also der Großvater meiner Cousine) auch an Darmkrebs erkrankt war, lag die Vermutung nahe, dass er auch Anlageträger war. Da er der Bruder meines ebenfalls bereits verstorbenen Opas war, der ja auch in jungen Jahren an Darmkrebs erkrankt war, war die Wahrscheinlichkeit plötzlich ziemlich hoch, dass das Lynch-Syndrom auch in unserem Zweig der Familie vertreten ist.
Also ließ sich meine Mutter testen und wurde ebenfalls mit Lynch-Syndrom diagnostiziert. Somit standen die Chancen also 50:50, dass ich ebenfalls das Lynch-Syndrom geerbt hatte.
Um das herauszufinden, musste ich einen Beratungstermin bei einem Arzt für Humangenetik machen. Dieser Termin dient dazu, sich eigene Vorstellungen über eine mögliche erbliche Veranlagung machen zu können. Der beratende Arzt informiert über den Nutzen, den eine genetische Testung hat, aber auch welche möglichen Nachteile diese mit sich bringen kann.
Die Entscheidung für oder gegen eine genetische Untersuchung liegt bei einem selbst. Damit soll das Recht jedes Menschen auf „informationelle Selbstbestimmung“ gewahrt und geschützt werden. Das bedeutet, dass Betroffene selbst entscheiden können, was ihnen wichtiger ist: Das Bedürfnis nach genetischer Risikoabklärung oder das Bedürfnis, nicht genau über das eigene Krankheitsrisiko Bescheid wissen zu wollen.
Wir hatten uns in der Familie schon sehr viel mit dem Thema auseinander gesetzt und ich war mir sicher, auf jeden Fall wissen zu wollen, ob der Gendefekt auch bei mir vorliegt. In meinem Beratungsgespräch mit der Humangenetikerin ließ ich mir deshalb auch Blut für die genetische Testung abnehmen.
Doch bevor ich das Ergebnisse erfahren konnte, musste ich einige versicherungsrechtliche Fragen klären. Das mag jetzt vielleicht komisch klingen, denn was hat das bitte mit meiner Gesundheit zu tun, die ja wohl wichtiger sein sollte als irgendein Papierkram? Allerdings ist es so, dass es mit der Diagnose Lynch-Syndrom schwierig werden kann z.B. eine Lebensversicherung abzuschließen. Da wir diese aber unbedingt brauchen, z.B. wenn wir später für einen Hauskauf einen Kredit aufnehmen müssen, wollte ich sicher gehen, auch alle administrativen Hürden aus dem Weg geräumt zu haben. Ein paar Wochen später habe ich dann endlich mein Ergebnis erfahren. Und wie ihr euch sicher schon denken könnt, wurde bei mir der Gendefekt auch festgestellt.
Für meine Familie und mich war die Diagnose erst einmal ein Schock.
Die meisten Krebsarten, für die ein erhöhtes Risiko besteht, bekommt man mit einer gezielten Früherkennung so weit in den Griff, dass sie gar nicht erst entstehen oder sich ausbreiten können. Somit muss ich von nun an also einmal jährlich diverse Untersuchungen machen lassen, inklusive Darmspiegelung, Magenspiegelung, Ultraschalluntersuchungen, Hautkrebsvorsorge und leider auch eine Gebärmutterspiegelung mit Biopsie der Gebärmutterschleimhaut (im nächsten Artikel mehr dazu). Frauen, die ihren Kinderwunsch bereits abgeschlossen haben, wird empfohlen sich Gebärmutter und Eierstöcke sogar entfernen zu lassen.
Vorsorge hin oder her, es ist trotzdem beängstigend zu wissen, dass diese Krebsarten ein erhöhtes Risiko haben, in meinem Körper aufzutreten. Doch genau diese Angst gilt es in den Griff zu bekommen.
Meiner Familie und mir ist das, nachdem wir den ersten Schock verarbeitet hatten, eigentlich ganz gut gelungen. Hier einige Tipps, die ich dazu habe:
- Wissen ist Macht – Informiert euch gut über die Krankheit. Verlasst euch nicht darauf, dass euch die Ärzte von sich aus alles erzählen. Macht eigene Recherchen und stellt Fragen, wenn ihr euch nicht sicher seid.
- Vorsorge, Vorsorge, Vorsorge – Macht alle empfohlenen Vorsorgetermine und geht regelmäßig jedes Jahr wieder hin. Damit könnt ihr sicherstellen, dass auch die kleinste Unauffälligkeit, die irgendwann einmal das Potential für Krebs haben könnte, entdeckt und entfernt oder behandelt werden kann. Darmkrebs gehört zu den „nettesten“ der ganzen Krebsarten. Ein Polyp im Dickdarm benötigt normalerweise 10 Jahren, um sich zu Krebs zu entwicklen. Mit Lynch-Syndrom ist diese Entwicklung stark beschleunigt und in etwa 3 mal so schnell. Das sind dann aber immer noch 3 Jahre, in denen das bei der jährlichen Vorsorge entdeckt und entfernt werden kann
- Lebt bewusst – Ernährt euch gesund, bewegt euch, vermeidet negativen Stress. Das gehört auch mit zur Krebsvorsorge.
- Macht euch nicht verrückt! – Bewahrt eine positive Einstellung! Krebs kann jederzeit bei jedem Menschen auftreten, auch ohne Gendefekt. Freut euch, dass ihr jetzt wisst, dass bei euch ein erhöhtes Risiko vorliegt und dass ihr dementsprechend Vorsorge betreiben könnt. Alles wird gut!