5. Die Auswahl der richtigen Kinderwunsch Klinik Part I – A Numbers Game und warum Deutschland kein gutes Land für eine IVF Behandlung ist

Als wir uns für eine In-vitro-Fertilisation (IVF) mit Präimplantationsdiagnostik (PID) entschieden haben, um zu verhindern, dass unsere zukünftigen Kinder Lynch-Syndrom von mir erben würden, wurden wir nicht nur mit einer, sondern gleich mit zwei Komplikationen konfrontiert: 1. Die Tests für die Lynch-Syndrom Genmutation an der befruchteten Eizelle werden in Deutschland von der Ethikkommission nicht genehmigt. Somit mussten wir uns eine Klinik im Ausland suchen. (Siehe Blogpost „3. IVF – WTF?“) 2. Während der Untersuchungen für den ersten Beratungstermin mit einer Klinik in Prag stellte sich heraus, dass meine Fruchtbarkeit nicht der einer 34-jährigen Frau entspricht, sondern stark in Richtung beginnende Menopause deutet. (Siehe Blogpost „4. Die weibliche Fruchtbarkeit, das unbekannte Wesen“)

Meine Eizellreserve ging also so langsam zur Neige und jede einzelne Eizelle kam mir plötzlich unendlich kostbar vor – noch kostbarer und wundersamer als vor dieser Diagnose. Deshalb wollten mein Mann und ich die IVF Behandlung nicht in irgendeiner Klinik durchführen lassen, sondern wir wollten die beste Klinik für IVF und PID finden. Also bereiteten wir uns auf ein ausführliches Klinik-Casting vor. Wer uns kennt, weiß dass wir beide sehr analytisch sind und dass wir aus dieser Herausforderung ein fast wissenschaftliches Projekt machen würden.

Glücklicherweise, hatte ich mir eine Auszeit von meinem Job genommen und arbeitete zur Zeit nicht. Ich wollte mir die Zeit nehmen, um in Ruhe mit der Diagnose Lynch-Syndrom klar zu kommen und alle empfohlenen Vorsorge Untersuchungen durchzuführen. Damals wusste ich noch nicht, dass das Babyprojekt so aufwändig werden würde. Und tatsächlich war für mehrere Wochen die Beschäftigung mit meiner Gesundheit und dem Thema IVF und PID ein Fulltime-Job.

Mein Mann und ich hatten das Glück, im Bekanntenkreis einen sehr erfahrenen Reproduktionsmediziner zu haben. Er arbeitete für eine große Klinik in den USA, die erwartungsgemäß sehr fortschrittlich beim Thema Gentests sind. Bevor wir uns auf die Suche nach den Kliniken machten, führten wir ein langes Gespräch mit ihm, um im Detail zu verstehen, wie IVF und PID ablaufen und worauf man achten sollte, wenn man mit Ärzten und Kliniken spricht.

Zunächst sprachen wir über Zahlen, was meinem Mann und mir half zu verstehen, wie der Prozess genau abläuft und worauf es ankommt.

20 Im besten Fall entwickeln sich während der Hormonbehandlung 20 Follikel mit Eizellen.
12 Nach der Eizellentnahme, werden davon ca. 60% erfolgreich befruchtet.
6 Davon entwickeln sich dann etwa 50% weiter bis zum sogenannten Blastozysten Stadium (ca. Tag 5 nach Befruchtung).
3 Die Blastozysten werden dann in meinem Fall per PID auf Lynch-Syndrom getestet. Statistisch gesehen werden 50% diese Genmutation haben.
1-2 Bei einer 34-jährigen Frau haben normalerweise ca. ein Drittel der Embryonen Probleme mit den Chromosomen (Aneuploidien, Trisomien etc.). Mit dem Alter steigt die Anzahl auf über 50%. Das kann mittels Präimplantationsscreening (oder preimplantation genetic screening auf Englisch, abgekürzt PGS) ausgeschlossen werden.

Bei 20 Eizellen, landet man statistisch gesehen dann also bei einem oder zwei gesunden Embryos, die dann in die Gebärmutter eingesetzt werden können. Doch da endet das Zahlenspiel noch nicht. Denn nicht immer nistet sich ein solcher 5 Tage junger Embryo auch in der Gebärmutter ein und entwickelt sich zu einem gesunden Baby. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt in etwa bei 60%. Wenn man also der Statistik vertraut und auf Nummer sicher gehen will, hat man besser zwei solcher Embryos in petto, um am Ende ein gesundes Baby zu bekommen. Somit müsste ich also durch Hormonbehandlungen besser mehr als 20 Eizellen ansammeln. Und das würde bei meiner Diagnose wohl etwas dauern (siehe Blogpost „4. Die weibliche Fruchtbarkeit, das unbekannte Wesen“).

Eigentlich hatten mein Mann und ich auch immer mehr als ein Kind gewollt. Die klare Empfehlung von allen Ärzten mit denen wir gesprochen hatten war, dass wir dafür jetzt bereits die Eizellen sammeln und einfrieren sollten. Jedes weitere Jahr würde zum einen meine Eizellreserve verringern und zum anderen die Qualität der verbleibenden Eizellen verschlechtern. Eine Schwangerschaft rückte damit also erst einmal in weite Ferne. Zunächst würde ich einige Hormonbehandlungen über mich ergehen lassen müssen (so viele, wie mein Körper und unser Geldbeutel zulassen würden), um genügend Eizellen zu produzieren. Mein neuer Beruf: Legehenne.

So, aber zurück zu den Auswahlkriterien für die richtige Klinik:

  1. Wie ihr euch vorstellen könnt, sind IVF, PID und PGS nicht gerade trivial. Man möchte also sicher stellen, dass eine Klinik damit viel Erfahrung hat. Ein erstes gutes Beurteilungskriterium ist somit die Anzahl der IVF Zyklen, die in der Klinik pro Jahr durchgeführt werden. Laut unserem Bekannten sollten wir darauf achten, dass eine Klinik mindestens 1000 oder mehr Zyklen pro Jahr durchführt. Wenn eine Klinik zum Beispiel nur 100 oder 300 Zyklen macht, sollten wir diese nicht weiter in Betracht ziehen.
  2. Was am Ende zählt ist das Resultat, also ein gesundes Baby in den Händen zu halten. Der beste Maßstab eine Klinik an diesem Resultat zu messen ist deren Live Birth Rate (Lebendgeburtenrate) pro Embryotransfer, also die Wahrscheinlichkeit, dass ein gesundes Baby geboren wird, wenn ein nach PID und PGS normal getesteter Embryo in die Gebärmutter eingesetzt wird. Viele Kliniken legen nur ihre Schwangerschaftsraten offen. Doch wie wir alle wissen, kann während einer Schwangerschaft leider einiges schief gehen. Ziel ist es aber, ein Baby zur Welt bringen und deshalb sollten die Kliniken danach beurteilt werden. Es ist wichtig, nach der individuellen Live Birth Rate der Klinik zu fragen und sich nicht mit der Zahl einer allgemeinen Studie abspeisen zu lassen. Die Live Birth Rate kann eine Indikation für die Qualität der PID und PGS sein, sowie darauf hindeuten, wie gut die Klinik ihre Patienten zum Thema Schwangerschaft und Fehlgeburten berät. Alle Kliniken arbeiten mit diesen Zahlen. Wenn der Arzt, mit dem ihr redet, die Zahlen nicht kennt, wirkt das zum einen nicht gerade professionell. Zum anderen solltet ihr weiter nachhaken und den Arzt bitten, die Zahl nachzureichen. Im Idealfall liegt die Live Birth Rate bei mindestens 60%.
  3. Last but not least, nach all den Zahlen nun ein etwas softeres Kriterium: Vertrauen zum behandelnden Arzt. Im Endeffekt müsst ihr ein gutes Gefühl haben und dem behandelnden Arzt vertrauen können. Denn was nützen all die Statistiken, wenn ihr euch nicht wohl fühlt. Ein Baby per IVF zu bekommen ist schon abstrakt und unromantisch genug. Da will man sich wenigstens bei dem Arzt gut aufgehoben fühlen.

So, das sind meiner Meinung nach die drei wichtigsten Kriterien bei der Wahl einer Klinik. Nach dem ausführlichen Coaching, das wir von unserem Bekannten erhalten haben, haben wir zusätzlich noch ein paar anderen Themen in den Gesprächen mit den Kliniken angesprochen:

  • Wieviele Zellen werden aus der befruchteten Eizelle entnommen und an welchem Tag? – Um PID und PGS durchzuführen, muss eine Biopsie entnommen werden, die dann im Labor untersucht wird. Diese Biopsie besteht am besten aus 4-5 Zellen. Bei einer kleineren Anzahl von Zellen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Biopsie nicht repräsentativ für den ganzen Embryo ist und die Ergebnisse somit verfälscht sein könnten. Wenn man sich nun verdeutlicht, dass Embryonen am Tag 3 nach Befruchtung aus ca. 8 Zellen, am Tag 5 bereits aus ca. 100 Zellen bestehen (sog. Blastozysten-Stadium), macht es also einen großen Unterschied, wann man die Biopsie entnimmt. Selbst die Entnahme einer einzigen Zelle, würde an Tag 3 mehr als 12% des gesamten Embryos entsprechen. Die Entnahme von 4-5 Zellen bei einer Blastozyste würde hingegen viel weniger ins Gewicht fallen. Übrigens ist die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft pro eingesetztem Embryo bei Tag 5 Embryos deutlich höher als bei Tag 3 Embryos. Man muss aber dazu sagen, dass es nicht alle Embryos schaffen von Tag 3 bis Tag 5 zu überleben. Das ist zumeist ganz natürlich und liegt an krankhaften Defekten etc. Es kann aber zu einem gewissen Grad auch auf die Laborbedingungen zurückgeführt werden. Es muss also im Einzelfall abgewogen werden, welche Variante am sinnvollsten ist.
  • Welche Freezing Methode wird verwendet? – Nachdem die Biopsie entnommen wurde, wird der Embryo eingefroren, damit er nicht weiter wächst. Bei minus 196 °C kann der Embryo dann für unbestimmte Zeit aufbewahrt werden. Es gibt zwei Methoden, Eizellen oder Embryonen einzufrieren: das langsame Abkühlen (Slow Freezing) und die neuere Methode der Vitrifikation, bei der die Eizellen schockgefrostet werden (Flash Freezing). Vorteil der Vitrifikation ist, dass ca. 90-100% der Embryonen das Auftauen überleben, während beim Slow Freezing die Überlebensrate nur etwa 50-60% beträgt. Falls also eine Klinik noch mit der veralteten Slow Freezing Technik arbeiten sollte, sollte man diese eher meiden.
  • Welchen Stimulationsplan schlagen Sie in unserem Fall vor (Dosis, Kontrollen, Zeit zwischen zwei Hormonzyklen)? – Von unserem Bekannten aus den USA haben wir erfahren, dass die tägliche Hormondosis zwischen Ländern und Kliniken stark variieren kann. In den USA folgt man eher dem Motto „viel hilft viel“ und verabreicht eine maximale tägliche Dosis von bis zu 600IE des follikelstimulierenden Hormons (FSH). In Europa geht man damit etwas vorsichtiger um, auch um eine potentielle Hyperstimulation zu vermeiden. Die maximale Dosis der meisten Ärzte liegt bei 375-400IE. Die individuelle Dosis hängt von den eigenen Hormonwerten und der geschätzten Eizellreserve ab. Wenn man so wie ich eine niedrige Eizellreserve hat, wird tendenziell eine höhere Hormondosis benötigt, um möglichst viele Eizellen zum Heranreifen zu animieren. In meinem Fall hat es mich also etwas stutzig gemacht, wenn der Arzt eine Dosis von unter 200IE vorgeschlagen hat. Während der Stimulationsphase sollte die Follikelreifung eng überwacht werden, um den Fortschritt zu überprüfen und auch um ggf. die tägliche Hormondosis anzupassen. Idealerweise wird ab Tag 5 alle zwei Tage eine Ultraschallkontrolle und eine Überprüfung des Estradiol Levels vorgenommen. Wenn Ärzte z.B. eine Überwachung erst ab Tag 10 vorschlagen oder wenn nur Ultraschall und nicht die Blutwerte betrachtet werden (oder umgekehrt), vermittelt das mir das Gefühl, dass hier keine individuelle und engmaschige Betreuung vorgenommen wird. Da ich ja bereits wusste, dass ich mehrere Hormonbehandlungen machen müssen würde, hat mich der empfohlene Abstand zwischen zwei Hormonzyklen sehr interessiert. Die beste Antwort für mich hierbei war, dass man zu Beginn des nächsten Zyklus per Ultraschall und Blutwerte bestimmen würde, ob eine erneute Hormonbehandlung angeraten ist oder nicht. Das machte für mich viel mehr Sinn, als wenn Ärzte pauschal sagten, dass zwei Monate zwischen zwei Hormonzyklen pausiert werden sollte.

Diese Fragen gehen schon sehr ins Detail und führen dazu, dass man mit den Ärzten Gespräche auf relativ hohem Niveau führt. Den Ärzten, mit denen wir gesprochen haben, war relativ schnell klar, dass wir uns bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt hatten und dass wir uns nicht mit den allgemeinen Standardantworten zufrieden geben würden. In einem Gespräch mit einem Arzt wurden wir sogar gefragt „Seid ihr Biologen?“ – Sind wir nicht. Wir sind BWLer. Aber wir haben das als Kompliment genommen und uns darin bestätigt gefühlt, dass wir bei unserem Auswahlverfahren gründlich vorgehen. Das war dann auch ungefähr der Zeitpunkt, an dem ich beschlossen habe einen Blog zu schreiben, um das Wissen, das wir uns angeeignet haben, an andere weiterzugeben.

Übrigens, ich will mir nicht anmaßen, eine absolute Expertin auf diesem Gebiet zu sein. Ich bin keine Medizinerin, Biologin oder ähnliches. Ich gebe nur die Informationen nach bestem Wissen und Gewissen weiter, die ich mir während meiner eigenen Recherche angeeignet habe. Auch solltet ihr wissen, dass die Möglichkeiten in Deutschland teilweise etwas anders sind und der Umgang mit befruchteten Eizellen durch das Embryonenschutzgesetz viel restriktiver ist.

Dass PID im Fall von Lynch-Syndrom nicht erlaubt ist, hatte ich ja schon erwähnt. Aber selbst wenn die Ethikkommission die PID in meinem Fall erlauben würde, würde ich die dann wirklich bei einer Klinik in Deutschland durchführen wollen, die damit kaum Erfahrung hat und wahrscheinlich weniger als eine pro Woche davon macht? Wahrscheinlich nicht!

Präimplantationsscreening (PGS) ist in Deutschland übrigens auch nicht erlaubt. Ein kleiner Zellhaufen darf also nicht untersucht werden. Stattdessen lässt man die Frau lieber ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt tragen. Und falls nach einigen Monaten erfolgreicher Schwangerschaft, eine Fehlbildung festgestellt wird, darf man ein Baby ganz legal abtreiben. Als ob das nicht viel schlimmere psychische und physische Konsequenzen für alle Beteiligten hat… Verrückte Welt!

In Deutschland ist das Einfrieren von Embryonen verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt. Befruchtete Eizellen dürfen nur eingefrorenen werden, so lange sie sich noch im Vorkernstadium befinden, das Spermium also schon in die Eizelle eingedrungen ist, die Zellkerne aber noch nicht verschmolzen sind (bis ca. 22 Stunden nach Eindringen der Samenzelle in die Eizelle). Laut Embryonenschutzgesetz soll es auch eigentlich gar nicht so weit kommen, dass Embryonen eingefroren werden. Denn §1 Absatz 1 Nr. 5 besagt, dass nur so viele Eizellen befruchtet werden dürfen, wie innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Da per Gesetz nur maximal 3 Embryonen auf einmal übertragen werden dürfen, dürfte man streng genommen also eigentlich nur 3 Eizellen überhaupt befruchten. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei ein transferierbarer Embryo entsteht ist dementsprechend gering. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nun von den Kinderwunschzentren unterschiedlich ausgelegt. Zum Beispiel wird argumentiert, dass man ja mittlerweile weiß, dass sich ca. 50% der befruchteten Eizellen gar nicht erst weiterentwickeln und dass man deshalb auch bis zu 6 Eizellen auf einmal befruchten kann. Das sollte man vorher mit dem behandelnden Arzt genau besprechen. Denn eine Hormonbehandlung kostet viel Zeit, Nerven und Geld. Es wäre schon sehr schade, wenn dann auch noch die Anzahl der kostbaren Eizellen, die befruchtet und konserviert werden können, künstlich durch eine Vorschrift limitiert werden würde.

Auch toll: Samenspenden sind in Deutschland erlaubt. Eizellspenden nicht. Warum? Weil man nicht will, dass ein Baby sozusagen zwei Mütter hat? Aber zwei Väter oder Adoptivmütter sind etwas anderes oder wie?

Ach ja, auf die Kosten einer IVF werde ich später noch eingehen. Aber damit ihr schon mal Bescheid wisst: Wenn ihr gesetzlich versichert seid, bekommt ihr nur unter bestimmten Voraussetzungen finanzielle Unterstützung von der Krankenkasse. Ein Kriterium ist dabei, dass ihr ein verheiratetes Paar sein müsst. Welcome to the 21st Century…

Falls ihr noch mehr dazu lesen wollt, bei EDITION F gibt es einen, wie ich finde, sehr gelungen Artikel zum Thema unerfüllter Kinderwunsch in Deutschland.

Jeder muss für sich selbst entscheiden was ethisch und moralisch und auch finanziell die beste Option ist. Ich bin persönlich zum dem Schluss gekommen, dass bei Kinderwunschbehandlungen in Deutschland nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt werden, um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren ein Kind zu bekommen. Wenn ihr mich fragt, spricht vieles dafür lieber ins Ausland zu gehen, wenn man die Möglichkeit hat.

3. IVF – WTF?

Noch vor einem halben Jahr war künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation (IVF) ein Thema, von dem wir nie geglaubt hätten, dass wir uns damit auseinandersetzen müssten. Wir waren frisch verheiratet, ich 33 und mein Mann 34 Jahre jung und wir hatten gerade beschlossen, dass wir nun endlich loslegen wollen mit dem Kinderkriegen.

Doch dann wurde in meiner Familie und schließlich auch bei mir ein Gendefekt festgestellt: HNPCC, auch Lynch-Syndrom genannt (siehe Blogpost „1. HNPCC what? – Wenn Krebs plötzlich mehr als unwahrscheinlich ist“).

Wie in diesem Blogpost beschrieben, besteht bei mir ein stark erhöhtes Risiko für Darmkrebs und andere Krebsarten. Ich selbst muss mich mit dieser Situation abfinden, die jährliche Flut von Vorsorgeuntersuchungen über mich ergehen lassen und hoffen, dass kein Krebs bei mir auftreten wird.

Aber was ist mit unseren ungezeugten Kindern? Die Wahrscheinlichkeit, dass ich das Lynch-Syndrom an sie weitervererben würde, liegt bei 50%. Gibt es nicht eine Möglichkeit, wie wir vermeiden können, dass sie diesen Gendefekt bekommen?

Eine Bekannte meinte dazu, sie würde dann einfach gar keine Kinder kriegen. Das war für uns allerdings keine befriedigende Option.

In einem Gespräch mit einem Arzt für Humangenetik stellte sich heraus, dass es tatsächlich eine Möglichkeit gibt: In-Vitro Fertilisation (IVF). Ich hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was genau damit gemeint war. Aber im ersten Moment habe ich mich einfach nur gefreut, dass es eine Option gibt. Moderner Wissenschaft sei Dank!

Damit boten sich uns also kurz zusammengefasst folgende drei Möglichkeiten das Thema Kinderkriegen anzugehen:

  1. Auf natürlichem Wege schwanger werden. Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung liegt bei 50%. Unsere Kinder können sich dann ab dem 18. Lebensjahr auf das Vorliegen des Gendefekts testen lassen.
  2. Künstliche Befruchtung (IVF), wobei mir Eizellen entnommen, im Labor befruchtet und untersucht werden und mir dann nur die wieder eingesetzt werden, die den Gendefekt nicht aufweisen.
  3. Überhaupt keine eigenen Kinder bekommen.

Alleine über diese Thematik könnte man eine lange, ethische Abhandlung verfassen und unendliche Diskussionen führen. Ich glaube, dass das wirklich eine ganz persönliche Entscheidung sein sollte, bei der es kein richtig oder falsch gibt. Jeder, der in so einer Situation ist, kann das für sich selbst entscheiden und sollte deshalb auch nicht verurteilt werden.

Mein Mann und ich haben viel darüber nachgedacht, recherchiert, mit Familie und Freunden und auch mit Ärzten gesprochen. Und relativ schnell war uns dann klar, dass wir den Weg der künstlichen Befruchtung nehmen würden.

Uns war auch klar, dass das nicht gerade der einfachste Weg war. Little did we know…

Wir haben also erst einmal einen Termin in einem Kinderwunschzentrum gemacht, um uns über das genaue Vorgehen zu informieren.
Leider hatte der Arzt dort keine wirkliche Ahnung von genetischen Untersuchungen, konnte uns aber zumindest den generellen Ablauf einer IVF gut erklären. Vereinfacht dargestellt ist der Prozess wie folgt:

  1. Stimulation der Eierstöcke mit einer Hormonbehandlung für ca. 8-12 Tage. Ziel ist es statt nur einer Eizelle, wie im normalen Zyklus, mehrere Eizellen heranreifen zu lassen.
  2. Entnahme der Eizellen
  3. Zusammenführung von Eizellen und Sperma in einzelnen Petrischalen
  4. Entwicklung der befruchteten Eizellen hin zu einem Embryo über einen Zeitraum von bis zu 5 Tagen
  5. Transfer von einem oder mehreren Embryos zurück in die Gebärmutter
  6. Schwangerschaftstest nach ca. 10 Tagen – Wenn der positiv ist, heißt es hoffen, wie bei jeder anderen Schwangerschaft auch. Wenn er negativ ist, geht der Prozess wieder von vorne los, wenn man es denn noch mal probieren möchte.

Worauf der Arzt uns keine Antwort geben konnte, war die Frage, ob die genetischen Tests für Lynch-Syndrom an der unbefruchteten oder befruchteten Eizelle durchgeführt werden müssen. Ein kleiner, jedoch entscheidender Unterschied, wie wir durch eigene Recherchen gelernt hatten. Ersteres kann in Deutschland relativ problemlos durchgeführt werden. Zweiteres ist nur in ganz, ganz wenigen Ausnahmefällen zugelassen, da eine befruchtete Eizelle, auch wenn diese aus nicht einmal 100 winzigen Zellen besteht, unter das Embryonenschutzgesetz fällt.

Man nennt diese genetische Untersuchung von befruchteten Eizellen im Rahmen einer IVF Präimplantationsdiagnostik (PID) oder auf Englisch Preimplantation genetic diagnosis (PGD). PID darf in Deutschland nur in speziell dafür zugelassenen Zentren durchgeführt werden.
Außerdem darf die PID laut Embryonenschutzgesetz nur zur Feststellung einer schwerwiegenden Schädigung des Embryos gemacht werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird. Die Einhaltung dieser Voraussetzung wird von einer Ethikkommission geprüft und muss durch diese genehmigt werden.

Um endlich Klarheit für unseren Fall zu bekommen, haben wir uns direkt an ein Kinderwunschzentrum gewendet, dem die Genehmigung zur PID vorliegt.

Dieser Termin war dann ziemlich desillusionierend. Uns wurde gesagt, das die Lynch-Syndrom Genmutation nur an der befruchteten Eizelle getestet werden kann und somit unter die oben genannten Restriktionen des Embryonenschutzgesetzes fällt. Da bei Lynch-Syndrom keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Tot- oder Fehlgeburt besteht, würde die Ethikkommission die PID in unserem Fall also nicht genehmigen.

Wir konnten es erst einmal nicht fassen. Da gäbe es rein technisch die Möglichkeit, unseren Kindern das Lynch-Syndrom zu ersparen. Doch eine Ethikkommission zusammengesetzt aus Menschen, die uns überhaupt nicht kennen, kann entscheiden, dass uns diese Möglichkeit nicht zugänglich ist.

Dem Arzt war anzumerken, dass er das ebenfalls nicht unbedingt für richtig hielt. Er erklärte uns, dass die Gesetzeslage dazu in Deutschland veraltet und viel, viel strenger als in anderen europäischen Ländern sei. Auch wenn er offiziell keine Empfehlung abgeben darf, erwähnte er, dass sich viele Menschen in ähnlichen Situation an IVF Ärzte im Ausland wenden würden. Besonders die Kliniken in Tschechien seien zu empfehlen, auf Grund der Erfahrung dort, aber auch wegen der Nähe zu Deutschland und der etwas günstigeren Kosten.

Und plötzlich hatte unser Babyprojekt eine ganz andere Dimension.